KI in Sales, Marketing und Werbung

Die Einsatzfelder von KI umfassen alle Bran­chen – den genannten Automobilbau, die Lo­gistikbranche, das Gesundheitswesen, die Energieversorgung, die Musikindustrie (hier komponieren KI-Systeme Melodien, teils mo­derne, teils Melodien im Stil alter Meister(27), und stehen in puncto Qualität kaum hinter menschlichen Komponisten zurück)(28) oder die Finanzindustrie, auf die noch einzugehen sein wird, um nur einige zu nennen.

Wie sieht es innerhalb eines Unternehmens aus? Welche Bereiche wären hier besonders zu nennen? Bei­spiel Sales: Die KI-Systeme erlauben es, schnell wichtige Informationen über Kunden zu ge­winnen, und entlasten Vertriebsmitarbeiter bei ihrer Arbeit. Mussten die Vertriebler bisher in teils aufwendiger Handarbeit Informationen recherchieren, etwa die Homepages, das Bran­chenfachblatt oder die Social-Media-Aktivitä­ten, so erleichtert KI diese Tätigkeit: Die Mitar­beiter geben Suchanfragen mit relevanten Be­griffen in das System ein, auf deren Basis dieses dann die entsprechenden Quellen durchsucht und diese – das ist das Besondere – in punc­to Aktualität und Relevanz sortiert. (29) Über ein Dashboard erhält der Vertriebsmitarbeiter die für ihn relevanten Ergebnisse.

Das Gan­ze nennt sich „Predictive Lead Scoring“: Da­bei sagen Algorithmen vorher, welche Leads besonders vielversprechend sind, um neue Kunden zu gewinnen. Die Vertriebsmitarbei­ter können sich also auf bestimmte, vielver­sprechende Leads konzentrieren, statt sich zu verzetteln.(30) Freilich ersetzt der Algorithmus nicht das Bauchgefühl des Vertriebsmitarbei­ters, das freilich auch nicht zu unterschätzen ist. Wie immer kommt es auch hier darauf an, KI-Systeme und menschliche Intelligenz / In­tuition nicht als „Entweder-oder“, sondern als „Sowohl-als-auch“ zu begreifen.

Besondere Be­deutung hat für den Bereich Sales das Dynamic Pricing, bei dem es darum geht, den Preis so festzulegen, dass die maximale Zahlungsbe­reitschaft des Kunden erreicht wird. Dies ist nur dann möglich, wenn das Kundenverhal­ten analysiert worden ist. Für das Dynamic Pricing werden Algorithmen, also in Einzel­schritte zerlegte Handlungsanweisungen, ein­gesetzt – und zwar sowohl für einzelne Kun­den als auch für Zielgruppen. Bspw. verdient ein Supermarkt recht wenig an einfachen Pro­dukten wie Mehl, Zucker oder Butter. Interes­sant sind nicht die Kunden, die diese niedrig­preisigen Artikel kaufen, sondern diejenigen Kunden, die hochpreisige Artikel kaufen, bei denen die Margen besonders hoch sind.

Freilich ersetzt der Algorithmus nicht das Bauchgefühl des Vertriebsmitarbeiters, das freilich auch nicht zu unterschätzen ist. Wie immer kommt es auch hier darauf an, KI-Systeme und menschliche Intelligenz / Intuition nicht als „Entweder-oder“, sondern als „Sowohl-als-auch“ zu begreifen.

Algo­rithmen suchen in diesem Fall die „interessan­ten“ Kunden aus, um ihnen Sonderangebote und Vergünstigungen zu gewähren, wobei in diesem Fall das Optimum von Verkaufsmenge und Preis zu ermitteln ist.

Wie immer geht es bei der Preisgestaltung um Nachfrage und An­gebot: Ein Streamingdienst bietet dasselbe Pro­dukt an, einmal für einen Single, der zu einem bestimmten Preis auch ins Kino gehen könn­te, und einmal für eine fünfköpfige Familie, bei der ein Gang ins Kino recht teuer wäre. Der Single erhält ein günstigeres Angebot für das Streamen. Auch Versicherungen können auf KI zurückgreifen, um Angebote zu persona­lisieren. Betreibt der Versicherte Risikosport­arten? Ist sein Zigarettenkonsum beachtlich? Wohnt er in einem guten oder einem schlech­ten Wohnviertel? Wer sind seine Facebook-Freunde? Hat er Kredite immer pünktlich be­dient?

An diesen Fragen zeigen sich allerdings auch die problematischen Aspekte der perso­nalisierten Preisgestaltung, denn zum einen sind manche Versicherungen Solidargemein­schaften – und zwar vor allem im Hinblick auf Aspekte, die sich nicht beeinflussen lassen. Hier wäre vor allem die genetische Dispositi­on im Fall von Krankenversicherungen zu nen­nen (also nicht Extremsportarten). Tendenziell führt zum anderen eine personalisierte Preis­gestaltung zu einer Begünstigung der ohnehin Bessergestellten und zu einer Belastung der oh­nehin Benachteiligten.(31)

Auch Marketing und Werbung profitieren von der KI, und zwar in Form von personalisierter Werbung. Maßge­schneiderte Werbung, so die Überzeugung, ist eher imstande, Kunden zu überzeugen. Beispiel Amazon: Über Algorithmen wird der Kunde gezielt angesprochen, welche Produkte für ihn noch interessant sein könnten – im Fall einer Burgerpresse ein ganzes Grillsortiment, ein Kontaktgrill oder Papierservietten. Gibt man ein Buch ein, bspw. einen bestimmten Kri­mi von Donna Leon, erhält man den Hinweis, dass Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, auch andere Bücher gekauft haben, zum Teil andere Bücher derselben Autorin, zum Teil Bü­cher anderer Autoren, aber desselben Genres.

Doch manchmal versagen die Systeme auch, und man erhält bei der Suchanfrage nach ei­nem Rucksack das Angebot für einen Laptop als „Zubehör“.(32) Zudem können lästige Coo­kies die Kundenbindung eher schwächen als stärken, und ein Zuviel an Angeboten kann beim potenziellen Kunden Ärger hervorrufen.

Problematisch wird der Einsatz, wenn KI-Sys­teme den „gläsernen Kunden“ so weit treiben, wie im Fall des schwangeren US-Teenagers. Hier erfuhr der erzürnte Vater durch Werbung von der Schwangerschaft seiner Tochter. Das KI-System hatte aufgrund des Kaufverhaltens der Tochter den richtigen Schluss gezogen, dass diese schwanger sei.(33) Der Einsatz von KI-Systemen für Werbe- und Marketingkam­pagnen ist sinnvoll, muss aber von Menschen überwacht werden, wie Israel Mirsky, Direc­tor of Global Technology and Emerging Plat­forms bei der Agentur OMD Worldwide, be­tont. Jeder, der etwas anderes behaupte, lüge. So können Algorithmen zwar entscheiden, auf welchen Seiten sich hohe Click-Through-Rates erzielen lassen, es könnte aber die Gefahr ent­stehen, dass diese auf unangemessenen Seiten platziert werden, die zu einem Imageverlust für das Unternehmen führen. Oder es müssten neue Algorithmen eingegeben werden, die zu einer größeren Markensensibilität der Systeme führen – indem bestimmte Seiten als tabu gel­ten.

Auch der „Return on Investment“ (ROI) lässt sich noch nicht so prognostizieren, wie es Marketingverantwortliche gerne hätten. „Ak­tuell ist dieser Prozess noch sehr mühsam und nicht so transparent, wie wir es gerne hätten“, sagt Randi Stipes, Marketing-Chef von IBM Watson Media and Weather.(34) Schließlich wä­ren noch die Sprachassistenten wie Siri von Apple oder Alexa von Amazon zu nennen, mit denen u. a. die Kundenbindung gefördert wer­den soll, über die sich aber auch Informationen über die Kunden gewinnen lassen. Sprachassis­tenten haben ein janusartiges Gesicht, insofern neben den genannten Vorzügen – und inzwi­schen nutzen rund 40 Prozent der US-Bevölke­rung die Systeme – das Misstrauen gegenüber diesen, manchmal als unheimlich betrachteten Systemen und den dahinterstehenden Konzer­nen wächst. Rund die Hälfte der Befragten gibt laut einer aktuellen OMD-Studie an, Sprachas­sistenten in Sachen Datensicherheit nicht zu vertrauen.(35)

Wollte man ein Fazit wagen, so könnte man feststellen, dass der Nutzen dieser Systeme wie immer von dem klugen Gebrauch, von der Abwägung von Vor- und Nachteilen, abhängt und sich eine generelle Aussage eben nicht treffen lässt.


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Sonderfall Sentimentanalyse

Quellen

27.) https://www.heise.de/ct/artikel/KI-mit-dem-Browser-ausprobieren-4537812.html?utm_source=pocket-newtab
28.) Vgl. M. Lenzen, S. 121 ff. Dasselbe geltet für die Malerei, allerdings seien maschinengeschriebene Theaterstücke und Drehbücher für Filme qualitativ immer noch schlecht, so Lenzen.
29.) https://www.vertriebsmanager.de/ressort/ki-im-vertrieb-dem-bauchgefuehl-auf-die-spruenge-helfen-763473515
30.) https://dastani.de/2019/08/22/kuenstliche-intelligenz-im-sales-potentiale-und-anwendung/
31.) Vgl. M. Lenzen, S. 167 ff.
32.) Vgl. M. Lenzen, S. 165
33.) https://www.saz.com/de/big-data-wie-eine-supermarktkette-den-usa-die-schwangerschaft-einer-teenagerin-noch-vor-deren-vater
34.) https://www.businessinsider.de/ki-wie-unternehmen-mit-werbung-kuenftig-produkte-verkaufen-wollen-2019-8
35.) s.o.