Die Chancen der künstlichen Intelligenz

Warum Deutschland das vorhandene Potenzial nutzen muss

von Marion Weissenberger-Eibl

Künstliche Intelligenz (KI) ist heute in aller Munde. Auf gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene schlägt kaum ein anderes Thema so große Wellen, schürt Faszination aber auch Zukunftsangst. Nichtsdestotrotz gibt es keine allgemeingültige Definition für KI, wenig Wissen über die Funktionsweise der dahinterliegenden Algorithmen und ebenso wenig Klarheit über die Einsatzgebiete und Chancen, die KI bietet. Fakt ist, es gibt schlichtweg nicht die KI. KI ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl und Vielfalt an Technologien, Softwaresystemen, datenbasierten Algorithmen und (teil-) automatisierten Analyse- und Auswertungsprozessen und bietet ebenso viele und diverse Potenziale.

Ein Definitionsversuch

Beginnen wir also von vorne. Das Kinder-Sachbuch „Was ist Was“ deckt nachvollzieh- und operationalisierbar und doch umfassend die Vielzahl der anderen bestehenden Definitionen ab: „Mit dem Begriff der ‚künstlichen Intelligenz‘ bezeichnen Wissenschaftler ein Gebiet der Informatik. Das Ziel ist, bestimmte Aspekte des menschlichen Denkens auf Computer zu übertragen und somit Maschinen zu bauen, die eigenständig Probleme lösen können“.

Ganz ähnlich definiert es die Bundesregierung in einer Antwort: „Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Erforschung von Mechanismen des intelligenten menschlichen Verhaltens befasst. Dabei geht es darum, technische Systeme so zu konzipieren, dass sie Probleme eigenständig bearbeiten und sich dabei selbst auf veränderte Bedingungen einstellen können. Diese Systeme haben die Eigenschaft, aus neuen Daten zu ‚lernen‘ und mit Unsicherheiten umzugehen, statt klassisch programmiert zu werden.“

Zusammenfassend sind also drei Charakteristika entscheidend: Es geht darum, über Rechensysteme eine Art menschlichen Denkens zu generieren, das eigenständig – also ohne weitere menschliche Programmierung – Probleme lösen und lernen kann. KI ist Softwareentwicklung 2.0: die Entwicklung von regelgeleiteter zu empirischer Softwareentwicklung.

Wie KI groß werden kann

Dennoch ist trotz des ganzen aktuellen Hypes KI kein neues Phänomen. Das Forschungsfeld der künstlichen Intelligenz besteht seit den 1950er Jahren (Buxmann und Schmidt 2019, 3). Der aktuelle Quantensprung entstand über die enorm verbesserte Rechenkapazität, das Vorhandensein von Big Data und den wesentlich verbesserten Algorithmen für künstliche Neuronale Netze.

KI kann damit nun immer dann substantielle Beiträge liefern,
wenn große Datenmengen und sich häufig wiederholende Vorgänge im Spiel sind.

KI kann damit nun immer dann substantielle Beiträge liefern, wenn große Datenmengen und sich häufig wiederholende Vorgänge im Spiel sind; es um Informationsgewinnung oder die Optimierung von Wirtschaftsprozessen auf der Basis von Daten geht; semantische Schlüsse, ungewöhnliche Kombinationen oder kausale Verknüpfungen gezogen werden; sowie bei der Mensch-Maschine-Interaktion (Spracherkennung, kollaborative Roboter), beim Aufdecken unbekannter Prozessmuster und Anomalien und bei Entscheidungen unter Zeitdruck. Grundsätzlich in allen Fällen großer Komplexität – der heutigen Welt also.

KI ist daher ein gesamtgesellschaftlich und global relevantes Thema, das zunehmend alle unsere Lebens- und Arbeitsbereiche durchdringt und gestaltet: KI-Technologien verändern die Art und Weise, wie wir Menschen arbeiten, konsumieren, kommunizieren, lernen und (zusammen-)leben.

Die Bedeutung von KI

Fragen wir nach der Bedeutung von KI, im Besonderen für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland, dann geht es hier vor allem darum, aktuelle (exportstarke) Produkte, Dienstleistungen und Prozesse durch KI-Technologien auch in Zukunft global konkurrenzfähig zu machen. Beispiele können autonome Systeme und Fahrzeuge, smarte Haushaltsgeräte sowie kollaborative Teamroboter für Industrie 4.0-Szenarien sein.

Kernaussagen

  • Es gibt nicht die eine KI und keine one-size-fits-all Lösung. KI birgt große Potenziale und Chancen, genauso aber auch Herausforderungen.

  • KI ist höchst relevant für die meisten Unternehmen, die größten Potentiale entstehen aber bei richtiger Nutzung auf Basis großer und qualitativ hochwertiger Datensätze.

  • KI hat Auswirkungen auf das Individuum wie die Gesamtgesellschaft. Die KI ist zur Unterstützung des Menschen da, der Mensch muss aber erst lernen, mit der KI zusammenzuarbeiten.

Ziel der Entwicklung und des Einsatzes von KI ist die intelligente Unterstützung des Menschen – in unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitsbereichen. Dabei ergänzen und erweitern KI-Technologien die menschlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie seine Handlungsoptionen, beispielsweise in der Situationserkennung, bei der Entscheidungsunterstützung sowie bei der Entwicklung von Wahrscheinlichkeiten und Vorhersagen. Ersetzen können sie diese, vor allem die exklusiv menschliche emotionale und soziale Intelligenz, jedoch nicht. Vielmehr geht es um die Gestaltung einer sinn- und verantwortungsvollen Zusammenarbeit von Menschen und intelligenten Maschinen.

Durch KI-Systeme werden auch bereits bestehende Mensch-Maschine- und Maschine-Maschine-Prozesse „intelligent“. So unterstützen sie beispielsweise im Vertrieb als virtuelle intelligente Service-Assistenten, bei der Kundenbetreuung oder im Management bei Recruiting- und Personalauswahlprozessen. Sie werden in der medizinischen Diagnostik und als Operations- und Pflegeassistenzroboter eingesetzt und dienen der IT-Sicherheit als smarte Betrugs- und Cyber-Abwehr. KI-Technologien ermöglichen smarte Geräte und Anlagen, wie zum Beispiel Smart Home- und Smart Farming-Anwendungen und werden in Industrie 4.0-Szenarien für die prädiktive Wartung von Produktionsanlagen eingesetzt. KI betrifft also nahezu alle Branchen.

Prof. Dr. Marion Weissenberger-Eibl

Daten als Grundbedingung

Gleichermaßen ist die sinn- und ver­ant­wor­tungsvol­le Nutzung von KI-Technologien – in Ko­operation mit dem Menschen und für den Menschen – abhängig von der Quantität, der Qualität, der Aggregation und der Vernetzung von Daten. Fragen zu den Potenzialen und Chancen sowie zu den Herausforderungen und Risiken von KI-Technologien gehen also mit Fragen nach der Qualität und der Erhebung von Daten einher. Eine umfassende Dokumentation der Datenbasen, der angestrebten Ziele, der verwendeten Methoden und Testprozesse sind daher für Transparenz und Qualitätssicherung in KI-gestützten Anwendungen zentral. Nur wenn hier das entsprechende Vertrauen für die Abgabe und Speicherung von Daten aufgebaut und sinnvolle, langfristige Nutzung sichergestellt werden kann, erarbeiten sich die Akteure eine Datenbasis, die KI wirklich lohnenswert macht.

Wo wir heute stehen

Dann jedoch entstehen große Chancen. Digitale Geschäftsmodelle und Wertschöpfung beinhalten riesige Chancen, sind aber gleichzeitig auch bereits eine Notwendigkeit in mancher Branche. Ansonsten ist die Gefahr, von bestehender wie neuer Konkurrenz überrollt zu werden, schlichtweg zu hoch. Zur Sicherung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit und aufgrund sich exponentiell verändernder Lebensgewohnheiten kann man hier fast schon von einer Unausweichlichkeit sprechen. Doch geschieht dies bereits in der deutschen Wirtschaft?

Eine aktuelle Deloitte Studie kam zu dem Schluss, dass technologisch betrachtet praktisch alle Varianten von künstlicher Intelligenz Relevanz für deutsche Unternehmen haben. Besonders verbreitet sind Process Robotics, experten- oder regelbasierte Systeme, die jeweils in 67 Prozent der befragten Unternehmen in Gebrauch sind. Implementiert wird allerdings häufig KI von der Stange, um den Aufwand möglichst gering zu halten.

Laut einer Studie liegen große Potenziale für KI in der industriellen Automation.

Weiterhin hat erst ein Viertel der befragten Unternehmen eine umfassende KI Strategie. Auf der menschlichen Seite ist festzuhalten, dass Vertrauen aus- und Bedenken abgebaut werden müssen. Besonders bedenklich ist jedoch, dass es an KI Skills fehlt. Um die Chancen, die KI bietet, also wirklich zu nutzen, muss in Bildung – Aus- und Weiterbildung – investiert werden. Jedoch nicht nur explizit, sondern insbesondere auch in die vorgelagerte Generierung des notwendigen Interesses.

Laut einer Studie zu den Potenzialen der künstlichen Intelligenz im produzierenden Gewerbe ist mit dem Einsatz der KI im produzierenden Gewerbe in Deutschland eine zusätzliche Bruttowertschöpfung in Höhe von ca. 31,8 Mrd. Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre verbunden.
Dies entspricht etwa einem Drittel des gesamten Wachstums des produzierenden Gewerbes in Deutschland innerhalb dieses Zeitraums. Forschung und Entwicklung (FuE), Service / Kundendienst, Produktion, Marketing / Vertrieb und Planung sind die wichtigsten zukünftigen Anwendungsbereiche.

Die größten Potenziale gehen von den KI-Anwendungen Predictive Analytics, Intelligente Assistenzsysteme, Robotik, Intelligente Automatisierung sowie Intelligente Sensorik aus. Besonders die kleinen- und mittleren Unternehmen haben hier aber Aufholbedarf.

Warum KI

Warum nun also in KI investieren? Im klassischen „magischen Dreieck“ aus dem Projektmanagement, das Kosten, Zeit und Qualität betrachtet, wird überdeutlich, was KI bewegen kann. Ohne KI führte die Verbesserung eines Faktors (zum Beispiel eine Kostenreduktion) zu einem negativen Effekt für die jeweils anderen Faktoren (entweder es dauerte länger oder die Qualität wurde schlechter). KI kann insofern eine „disruptive Wirkung“ auf das magische Dreieck haben, da „alle drei Elemente gleichzeitig verbessert werden können. Eine KI-unterstützte Tätigkeit kann wesentlich schneller (im Subsekundenbereich), wesentlich besser (ohne Flüchtigkeitsfehler) und wesentlich kostengünstiger (mit einer typischen Kostenreduktion um den Faktor 10) durchgeführt werden.“ (Hildesheim und Michelsen 2019, 125).

Große Chancen bietet KI bereits heute als Trendscout und in der Fehlerbehebung, im Kundenservice (Chatbots) und für Effizienz- und Effektivität (Bilderkennung, Input Management). Die Potenziale der Zukunft aber liegen beispielsweise in der humanoiden Robotik, da KI dafür sorgt, dass sich der Roboter tatsächlich „menschlich“ verhält, im autonomen Fahren oder im Einsatz in der Fabrik. Von der Nutzung von KI für bestimmte repetitive Fähigkeiten kann besonders auch der Hightech-Standort Deutschland profitieren, da so der Fokus auf die eigentlichen Stärken gelegt und die zuvor kostengünstigere Verlagerung vom Hochlohnstandort ins Ausland reduziert werden kann (Hildesheim und Michelsen 2019, 126-7).

Um diese Potenziale auszuschöpfen, muss Deutschland vorhandenes KI-Potenzial mobilisieren. Neben den Qualifizierungsinitiativen im Bildungs- und Weiterbildungsbereich braucht es insbesondere auch finanzielle Förderung anwendungsorientierter KI-Forschung, die disziplinspezifisches Wissen mit KI-Wissen vernetzt. Zudem muss Venture Capital für KI aktiviert werden. Es braucht mehr Mut, um die notwendigen großen Schritte zu gehen.

Literatur

Weissenberger-Eibl, M. (2019): Zukunftsvision Deutschland – Innovation für Fortschritt und Wohlstand, Berlin 2019 [ISBN: 978-3-662-58793-5, DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-58794-2]

Konsequenzen

Aus Zielsetzungen, Einsatzbereichen, Chancen und Grenzen von gegenwärtigem und zukünftig denkbarem KI-Einsatz ergeben sich politische, ökonomische, rechtliche und ethische Fragen, die für Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft gleichermaßen relevant sind und daher transparent und gemeinsam diskutiert werden müssen. Der Einsatz von KI hat nicht nur Auswirkungen auf das Individuum, sondern auch auf die Gesamtgesellschaft. KI beeinflusst unser Selbstverständnis sowie unser soziales Miteinander, hat Auswirkungen auf den Wert und die Gestaltung von Arbeitsprozessen sowie auf Prozesse der politischen Willens- und Meinungsbildung.

Damit alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um das Thema KI voranzubringen und die großen Potenziale zu nutzen, bedarf es einer vorangehenden gesamtgesellschaftlichen Diskussion mit klar kommuniziertem Bekenntnis und Selbstbewusstsein hinsichtlich der exklusiv menschlichen Fähigkeiten. Im Bereich der Arbeit geht es dabei vor allem um die Frage, wie Mensch und intelligente Maschinen sinn- und verantwortungsvoll und sicher zusammenarbeiten können. Hier gilt es, gestaltend einzugreifen. So sind neben organisationalen Veränderungen vor allem auch Akzeptanz, Bereitschaft, Qualifizierung und Kompetenzentwicklung aller notwendig.

Die Entwicklung schreitet rasant voran: Hardwareseitig (Anzahl der Verbindungen zwischen den Neuronen) befindet sich die Entwicklung noch in etwa auf dem Niveau einer Biene. Jedoch lässt sich für das Jahr 2023 das Niveau einer Maus, 2026 das einer Katze und 2028 tatsächlich menschliches Niveau erwarten (Wess 2019, 158). Diese rasante technologische Entwicklung gilt es zu nutzen und die Anwendung von KI aktiv und bewusst mitzugestalten. //

Hintergrundinformationen

  • Bitkom e.V. & DFKI GmbH (Hrsg.) (2017): Entscheidungsunterstützung mit Künstlicher Intelligenz. Wirtschaftliche Bedeutung, gesellschaftliche Herausforderungen, menschliche Verantwortung. Online: https://www.uni-kassel.de/fb07/fileadmin/datas/fb07/5-Institute/IWR/Hornung/170901-KI-Gipfelpapier-online.pdf (Zugriff: 16.01.19).

  • Bundesregierung (2018): Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (Erarbeitet durch BMWi, BMAS, BMBF) (11/2018): https://www.bmbf.de/files/Nationale_KI-Strategie.pdf

  • Bundesregierung (2018): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dieter Janecek, Dr. Anna Christmann, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/1525 –“ Drucksache 19/1982; 27.04.2018.

  • Buxmann P., Schmidt H. (2019): Grundlagen der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens. In: Buxmann P., Schmidt H. (eds) Künstliche Intelligenz. Springer Gabler, Berlin, Heidelberg.

  • Deloitte (2019): State of AI in the Enterprise: Ergebnisse der Befragung von 100 AI -Experten in deutschen Unternehmen. Januar 2019.

  • Fraunhofer-Allianz Big Data (2017): Zukunftsmarkt Künstliche Intelligenz. Potenziale und Anwendungen. Online: https://www.iais.fraunhofer.de/content/dam/bigdata/de/documents/Publikationen/KI-Potenzialanalyse_2017.pdf (Zugriff: 15.01.19).

  • Paice (2018): Potenziale der künstlichen Intelligenz im produzierenden Gewerbe in Deutschland. iit – Institut für Innovation und Technik in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH.

  • Was ist Was (n.d.): Was ist künstliche Intelligenz. https://www.wasistwas.de/details-technik/wissenswelt-was-ist-kuenstliche-intelligenz.html (Zugriff: 15.08.19).

  • Wess S. (2019): Mit Künstlicher Intelligenz immer die richtigen Entscheidungen treffen. In: Buxmann P., Schmidt H. (eds) Künstliche Intelligenz. Springer Gabler, Berlin, Heidelberg.


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