Digital Decision Making

KI zur Steuerung operativer Prozesse

von Adrian Weiler

Künstliche Intelligenz (KI) ist kein Experiment, sondern zu Recht die Technologie der Zukunft. Schließlich machen sich über nahezu alle Branchen hinweg auffallend ähnliche Herausforderungen und Veränderungen der Marktstrukturen bemerkbar, für deren Bewältigung KI einen entscheidenden Beitrag leistet. Im Wesentlichen sind dies:

  1. die weitreichende Vernetzung und Interdependenz in der Geschäftswelt,
  2. die Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen,
  3. die zunehmende Beschleunigung (kürzere Produkt- und Entwicklungszyklen sowie Lieferzeiten),
  4. eine größer werdende Anfälligkeit gegenüber selbst kleinen, alltäglichen Betriebsstörungen, bedingt durch die ersten drei genannten Entwicklungen.

Diesen Herausforderungen ist gemein, dass sie Menschen in operativen Entscheidungspositionen vor manuell unlösbare Aufgaben stellen. Zeitdruck und Komplexität treffen so geballt aufeinander, dass in der Regel nicht mehr als Bauchgefühl und Erfahrung bleibt, um eine kniffelige Entscheidung zu treffen. Zugegeben, beide Eigenschaften behalten auch in Zukunft ihren Wert, reichen für die betriebswirtschaftlich sinnvolle Planung aber oft nicht mehr aus. Es gibt zahlreiche Aufgaben, die sich ohne algorithmische Unterstützung nicht mehr zeitgemäß lösen lassen. Dazu zählt zum Beispiel die Disposition von Zehntausenden Artikeln eines Warenlagers – jeden Tag termingerecht, optimiert für die geplante Produktion, ohne zu viel Sicherheitsbestände anzulegen und unter Berücksichtigung vieler weiterer Rahmenbedingungen. Noch eindrücklicher: Wer könnte schon Millionen Finanztransaktionen täglich manuell auf Betrugsmuster überprüfen und je nachdem entsprechende Maßnahmen einleiten?

Abb.1: Der Weg zu einer machbaren KI-Roadmap

Andere Anwendungsfelder scheinen auf den ersten Blick noch mit althergebrachten Planungs- und Entscheidungsmethoden zu funktionieren. Bei genauerer Betrachtung treten jedoch schnell Schwierigkeiten zutage – mangelnde Termintreue eines fertigenden Unternehmens etwa –, die darauf schließen lassen, dass die operativen Prozesse bereits an ihre Grenzen stoßen.

Beispiele KI-Anwendungen
Anwendungen datengetriebener KI-Systeme:
– Absatzprognosen
– Predictive Maintenance
– Optimierte Lagerbestände
Anwendungen wissensgetriebener KI-Systeme:
– Transportoptimierung
– Produktionsplanung
– Personaleinsatzplanung
Anwendungen hybrider KI-Systeme:
– Ersatzteildisposition
– Betrugsprävention im Zahlungsverkehr

Ein wesentlicher Mehrwert des digitalen Entscheidens („Digital Decision Making“) durch KI ist es, optimale Entscheidungen für ganz konkrete Problemstellungen zu berechnen. Anders formuliert nutzen solche KI-Systeme Daten nicht nur dafür, gewonnenes Wissen über einen Prozess in ansprechenden Dashboards zu visualisieren, sondern um in der jeweiligen Situation ganz konkrete Handlungen vorzuschlagen, um das situativ bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Dies bringt die notwendige Resilienz in die Unternehmen.

  • Doch wie beginnt ein Unternehmen, dass sich erstmals mit KI beschäftigen möchte?
  • Was sind die Grundlagen und welche typischen Fehler lassen sich vermeiden?
  • Wie lässt sich eine machbare Strategie zielgerichtet aufsetzen?

Datengetriebene und wissensgetriebene KI

Zwei häufige Missverständnisse bestehen darin, unter KI ausschließlich neuronale Netze und lediglich die Funktion des Machine Learnings zu verstehen. Ersteres ist für die operative Planung sogar hinderlich, da uns der Lernprozess neuronaler Netze – es handelt sich um eine Blackbox – verschlossen bleibt. Anwendungen, die nur auf Machine Learning setzen, können sich zwar stetig weiterentwickeln, brauchen aber viele Daten und viel Lernzeit, um gut zu funktionieren. Das Konzept geht etwa bei Absatzprognosen auf, wenn sehr viele historische Verkaufsdaten vorliegen, über die sich beispielsweise auch Saisonalitäten abdecken lassen. Hier werden die Prognosen mit der Zeit immer besser, je mehr Korrelationen sie in den Daten aufdecken. Auf dieser Basis allein wird jedoch noch keine Entscheidung getroffen.

Tabelle 1: Analyse eines mittelständischen Zulieferbetreibs (Aerospace)

Optimierte Entscheidungen stammen von Systemen mit Technologien auf Basis von Operations Research und Fuzzy Logic, die riesige Planungs- und Entscheidungsmodelle in sehr kurzer Zeit durchsuchen können. In diese Modelle fließt immenses Expertenwissen über das jeweilige Unternehmen und Geschäftsumfeld ein. Reale Ressourcen und Kapazitäten wie Material oder Maschinen sind darin so abgelegt, dass sich in jeder Entscheidungssituation sämtliche Ziele und Restriktionen der Planung abbilden lassen. Das KI-System sucht dann den optimalen Handlungsvorschlag unter Berücksichtigung vorgegebener Ziele aus. In Bereichen wie der Fertigungs- und Montageplanung oder der Personaleinsatzplanung haben solche KI-Anwendungen Erfolg.

In der Regel eignet sich aber ein hybrider Ansatz, der daten- und wissensgetriebene KI-Systeme miteinander kombiniert. Selbst wo Optimierung bereits erfolgreich angewandt wird, ermöglichen selbstlernende Systeme oft eine verbesserte Entscheidungsgrundlage. Zum Beispiel stehen Wiederbeschaffungszeiten im Einkauf oder Durchlaufzeiten in der Produktion bisher nur als fixe Stammdaten zur Verfügung. Durch Machine Learning können diese nun inkrementell flexibilisiert und weiter an die realen Gegebenheiten angepasst werden. Mit den genaueren Daten liefert KI dann noch bessere Entscheidungen.

Außerdem brauchen selbstlernende Algorithmen allein häufig zu viel Zeit, um eine notwendige Veränderung zu erlernen. Bei der Betrugsprävention müsste ein neues Betrugsmuster erst wochenlang aus neuen Datensätzen erlernt werden, bevor es zuverlässig abgewehrt werden kann. Der Schaden beim Finanzinstitut wäre dann immens. An dieser Stelle ist ein hybrides System sogar unabdingbar, da der Mensch Änderungen manuell eingeben und sofort in die Entscheidungsfindung miteinbeziehen kann.

Roadmap einer wertgetriebenen KI-Strategie

Eine der häufigsten Hürden zur erfolgreichen Einführung von KI ist die Furcht vor dem vermeintlich unüberschaubaren Umfang des Vorhabens. Dieser wird allerdings regelmäßig überschätzt. Statt viele Monate in einem umfassenden Beratungsprojekt zu verbringen, hat sich die Denkmethode des Value Engineerings bewährt, um innerhalb weniger Wochen werttreibende Anwendungsfälle zu identifizieren (siehe Abb. 1). Hierbei arbeiten Management und Fachexperten eng zusammen. Ziel ist kein dickes Strategiebuch, sondern eine rasch umsetzbare Roadmap von Lösungsvorschlägen für die bedeutsamsten Prozesse.

Weisen Geschäftsprozesse eine hohe Komplexität, Volatilität, Störanfälligkeit und Zeitdruck auf, ist der Einsatz von KI zum digitalen Entscheiden prinzipiell angebracht. Doch anstatt mit dem größtmöglichen Projekt zu starten, empfiehlt sich ein iteratives Vorgehen.

Am Anfang steht immer die Frage nach den konkreten Unternehmenszielen. Sind lediglich Einsparungen das Ziel oder spielen auch Faktoren wie Kundenzufriedenheit, Qualitätssicherung und Termintreue eine Rolle? Für jede Anwendung wird überprüft, wie stark sie auf welches Ziel einzahlt.

Sind die entscheidenden Werttreiber identifiziert, sollte auch der mit ihnen verbundene Aufwand geprüft werden. Welche Daten in welcher Qualität sind für die geplante Anwendung nötig? Welche Fähigkeiten der Mitarbeiter und organisatorischen Anforderungen sind wichtig? Obwohl in der Praxis noch viele weitere Faktoren in die Analyse einbezogen werden, ergibt sich im Grunde genommen eine Einteilung passender Anwendungen in den beiden Dimensionen Effektivität und Machbarkeit. Das stark vereinfachte Ergebnis eines mittelständischen Zulieferbetriebs zeigt Tabelle 1.

Typische Fehler bei der Einführung von KI-Systemen

1. Management by Buzzword
KI-Systeme greifen tief in die Prozesskultur ein. Sie brauchen eine klare Zielsetzung, keine Modebegriffe. Wurden die entscheidenden Werttreiber im Unternehmen strategisch ermittelt?
2. Übereilte Personalentscheidungen:
Mit der Einstellung eines vermeintlich qualifizierten Data Scientists ist es nicht getan. Hat die Person wirklich genau das Fach- und Domänenwissen für die gewünschte Anwendung?
3. Komplexität vernachlässigen:
Stehen für die gewünschte Anwendung genügend und die richtigen Daten zur Verfügung? Fällt in einem Maschinenpark mit 50 Maschinen jede Woche eine Maschine aus, scheint das zwar viel, doch die Datengrundlage für Predictive Maintenance ist längst nicht gegeben.
4. Keine Datenstrategie:
Massenhaftes Sammeln von Daten führt allein nicht zum Ziel. Wurde vorab geklärt, welche Daten in welcher Qualität wo zur Verfügung stehen? Wo müssen die Daten hin und was muss dafür geschehen?

Mit dieser Analyse ist es bis zu einer passenden KI-Roadmap nicht mehr weit. Das Management sollte sich zuerst für einen klassischen „Quick Win“ entscheiden, also für eine werttreibende, vor allem aber leicht und zügig umsetzbare Anwendung. Hier wäre das die Transportoptimierung. So kann sich die Organisation dem Thema KI umsichtig nähern, Erfahrungswerte aufbauen und schnelle Erfolge generieren, die wiederum weitere Mitarbeiter begeistern können. Im zweiten Schritt gewinnt der größte Werttreiber an Bedeutung, hier die Produktionsplanung, auch wenn der Aufwand umfangreicher ausfallen kann. Natürlich sollte die Machbarkeit immer noch in einem akzeptablen Bereich liegen. Weitere Schritte können dann je nach Unternehmensstrategie festgelegt werden.

Fazit

Digitales Entscheiden im operativen Management mittels KI erleichtert komplexe Planungs- und Entscheidungssituationen. Intelligente Algorithmen wählen aus einer unüberschaubaren Vielzahl an Handlungsoptionen schnell die situativ beste aus, anstatt Daten lediglich zu analysieren. In Folge ermöglichen sie resiliente und agil optimierte Geschäftsprozesse. Unternehmen werden dadurch in die Lage versetzt, mit ihren vorhandenen Ressourcen deutlich bessere Resultate zu erwirtschaften. //


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