Künstliche Intelligenz und Recht

Neue Formen der Data Governance

von Prof. Dr. Klaus Heine

Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data treiben die technologische Entwicklung neuer globaler Geschäftsmodelle voran. Darüber hinaus verändern sie auch eine Vielzahl sozialer Prozesse grundlegend – sowohl in Unternehmen als auch in staatlichen Institutionen. Die Rechtsordnung ist dabei weder Zuschauer noch Hindernis, sondern die Ressource, die die technologische Entwicklung gesellschaftlich einbettet.

Digitale Disruption hat mannigfaltige gesellschaftliche Wirkungen: Sie bringt neue Geschäftsmodelle hervor, prägt die Zukunft der Arbeit, die Ausbildung sowie das soziale und politische Miteinander. Eines ist allen diesen Veränderungen gemeinsam: Sie finden nicht in einem Vakuum statt, sondern im Rahmen von gesetztem Recht und sozialen Normen.

Der rechtliche Rahmen bildet die Fahrrinne, innerhalb derer KI und Big Data letztlich ihre Kraft entfalten und Richtung erhalten. Damit wird deutlich: KI rechtlich zu flankieren bedeutet nicht allein, sie zu begrenzen. Es geht ganz entscheidend auch darum, einen Rahmen zu schaffen, der die Kräfte von KI nutzbar macht. Die Fahrrinne muss – um im Bild zu bleiben – tief genug ausgebaggert sein, um KI tragen zu können. Je klüger das Recht gestaltet ist, desto besser lässt sich KI wirtschaftlich nutzen und desto eher wird sie gesellschaftlich akzeptiert.

Recht muss schützen, aber auch Neues ermöglichen

Das bedeutet aber auch, dass „altes Recht“ und alte Gewissheiten über die Steuerungsmöglichkeiten von Recht auf den Prüfstand gestellt werden sollten. Um noch ein Bild zu gebrauchen: Ein Sportwagen kann seine Höchstgeschwindigkeit nur auf einer gut ausgebauten Straße entfalten. Begleitend zu den disruptiven Anwendungen von KI und Big Data gilt es daher, das Recht selbst neu zu gestalten. Es muss seinen Schutz optimal entfalten, aber auch seiner Funktion gerecht werden, Neues zu ermöglichen. Recht darf der technischen Entwicklung nicht hinterherhinken, sondern soll die Durchsetzung von Neuerung im Rahmen gesellschaftlicher Normen unterstützen.

Die rechtliche Einbettung von technischen Neuerungen ist keinesfalls trivial und im Falle von Disruption ist es naiv zu glauben, dass es nur kleiner Anpassungen des bestehenden rechtlichen Kanons bedürfe.

Prof. Dr. Klaus Heine

Die Einführung des deutschen GmbH-Rechts Ende des 19. Jahrhunderts oder der Organisationshaftung im Zuge der industriellen Massenfertigung durch Richterrecht sind nur zwei Beispiele, wie Rechtsinnovationen den technisch-sozialen Fortschritt in der Vergangenheit beschleunigt haben.

Die rechtliche Einbettung von technischen Neuerungen ist keinesfalls trivial und im Falle von Disruption ist es naiv zu glauben, dass es nur kleiner Anpassungen des bestehenden rechtlichen Kanons bedürfe (wie die deutsche KI-Debatte zum Teil suggeriert). Dies lässt sich historisch schön an der rechtlichen Auseinandersetzung des Reichsgerichts mit der Frage ersehen, ob elektrischer Strom eine körperliche Sache sei (RG, 01.05.1899 – Rep. 739/99). Davon hängt es nämlich ab, ob Strom überhaupt Gegenstand eines Diebstahls sein kann. Aus heutiger Sicht mag die damalige Diskussion merkwürdig wirken, da elektrischer Strom seit über hundert Jahren in jedem Haushalt für eine unübersehbare Anzahl von Anwendungen verfügbar ist. Ende des 19. Jahrhunderts war die Verfügbarkeit von Elektrizität aber nicht selbstverständlich und auch die physikalische Beschaffenheit von Elektrizität keineswegs klar. Daher findet sich in den Gerichtsprotokollen des Reichsgerichts eine ausgebreitete physikalisch-technische Debatte darüber, was elektrischer Strom überhaupt sei und dass man womöglich zukünftige Forschungsergebnisse abwarten müsse, um die Eigenschaften von elektrischem Strom besser zu verstehen. Diese Diskussion ist auf einem wissenschaftlichen Niveau, das man sich auch für die heutige Debatte um KI oftmals wünschen würde. Als Ergebnis des Stromfalls wurde jedenfalls eine Rechtslücke konstatiert, die vom Gesetzgeber durch den eigenen Straftatbestand des Stromdiebstahls geschlossen wurde. Solche Rechtslücken dürften vermutlich auch im Zusammenhang mit KI bestehen.

Ein eigenes Recht für Roboter?

Vor diesem Hintergrund scheint es nicht übertrieben, eine Diskussion darüber anzustoßen, ob Roboter eine eigene Rechtspersönlichkeit haben, Steuern zahlen und für ihre Handlungen selbst haften sollten. Dabei geht es nicht darum, eine Analogie zum Menschen herzustellen oder vorauszusetzen. Vielmehr geht es darum, ganz pragmatisch, Verantwortlichkeiten so zuzuweisen, dass ökonomische Anreize und Wettbewerb in optimaler Weise zur Entfaltung kommen. Dabei bedeutet Optimalität die Steigerung des Wohlstandes für alle Menschen einer Gesellschaft.

Prof. Dr. Klaus Heine

Ebenso lohnt die Diskussion darüber, ob Formen des Dateneigentums besser angepasst werden könnten und sollten. Diese Frage ist besonders spannend, da sie an einen technischen Imperativ anknüpft: Künstliche Intelligenz kann ihr Potenzial nur entfalten, wenn sie Zugriff auf große Datenbestände hat. Technisch gesehen spielt es dabei keine Rolle, ob dieser Zugriff quasi-staatlich oder durch privatwirtschaftliche Tech-Giganten erfolgt. Der Schlüssel zum Erfolg liegt erstens in der Größe des Datenpools und zweitens in den Algorithmen, für deren Entwicklung hohe Summen investiert werden müssen.

Der Schlüssel zum Erfolg im rechtlichen Umgang mit KI und Dateneigentum dürfte darin liegen, die für KI relevanten Rechtsbereiche zu bündeln und sie in einer Institution zusammenzufassen, die über ein Höchstmaß technischer und rechtlicher Expertise auf den jeweiligen Gebieten verfügt.

Prof. Dr. Klaus Heine

Die Größe des Datenpools und technologische Dominanz ermöglichen aber auch den Missbrauch von Macht – sei es durch private Monopole auf vernetzten Güter- und Datenmärkten oder durch das politische Gewaltmonopol. In beiden Fällen ist es Aufgabe der Rechtsordnung, den Machtmissbrauch zu verhindern – und gleichzeitig die datentechnischen Voraussetzungen von KI zu ermöglichen. Als besondere Herausforderung gilt dabei, dass Größe und Macht in der digitalen Welt nicht an Ländergrenzen haltmachen.

Daten im Eigentum einer unabhängigen Institution

Weiterhin stellt sich die Frage: Wie kann der technologische Imperativ von Größe mit den gesellschaftlichen Werthaltungen von Demokratie, Offenheit und Privatheit in Einklang gebracht werden? Hierzu ist ein mutiger Sprung im rechtlichen Design nötig – ähnlich wie er seinerzeit mit dem GmbH-Recht und der Organisationshaftung vollzogen wurde. Konkret zu hinterfragen ist: Warum sollen Daten entweder einem Unternehmen, den Individuen oder dem Staat gehören? Warum sollte ein KI-basiertes System nicht einen bestimmten Grad an rechtspersönlicher Unabhängigkeit haben, um in den Dienst der Gesellschaft gestellt zu werden?

Verleiht man künstlicher Intelligenz eine Rechtspersönlichkeit, so könnte sie verpflichtet werden, ihr Wissen mit anderen zu teilen – ohne dass es der Zustimmung des Besitzers bedarf. Darüber hinaus könnten die Daten automatisch Eigentum einer unabhängigen Institution sein, vergleichbar mit einer Zentralbank. Diese Institution könnte die Daten exklusiv an Unternehmen verleihen, die daraus wiederum lukrative Geschäftsmodelle kreieren. Dies eröffnet auch die Möglichkeit, systematisch über neue Architekturen für die Datennutzung nachzudenken; von hochvertraulichen Daten bis zu anonymisierten Massendaten. In einem solchen institutionellen Design könnte die unabhängige Institution das Recht auf Datennutzung zurückziehen, sobald Missbrauch oder Wettbewerbsverfälschungen begangen werden.

Es ist spannend, über ein solches rechtliches Design nachzudenken. Denn es eröffnet eine strukturierte Alternative zum traditionellen Rechtsrahmen. Der etablierte Rahmen ist historisch dadurch geprägt, dass es ein Nebeneinander von Wettbewerbsrecht, Verbraucherrecht, intellektuellen Eigentumsrechten, Haftungsrecht oder Datenschutzrecht gibt. Der Schlüssel zum Erfolg im rechtlichen Umgang mit KI und Daten­eigentum dürfte aber vielmehr darin liegen, die für KI relevanten Rechtsbereiche zu bündeln und sie in einer Institution zusammenzufassen, die über ein Höchstmaß technischer und rechtlicher Expertise auf den jeweiligen Gebieten verfügt. Auf diese Weise könnte Deutschland nicht nur Weltspitze für die menschengerechte Einbettung von KI in die Gesellschaft werden, sondern auch technologisch den Anschluss halten. //

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