Logistik auf neue Füße stellen

Die Branche gilt als vorrangiges Betätigungsfeld für künstliche Intelligenz.

von Frank Zscheile

In Technologien für künstliche Intelligenz wurden allein in 2018 weltweit über 40 Mrd. US-Dollar an Forschungsgeldern gesteckt. Verständlich, sorgen diese doch für effizientere Prozesse, liefern präzise Vorhersagemodelle und ermöglichen es Unternehmen, sich schnell und flexibel auf sich verändernde Märkte anzupassen. Mit solchen Eigenschaften wird KI zu einem der wichtigsten Wachstumstreiber und Wettbewerbsfaktoren der nächsten Jahre.

Dies geschieht jedoch nicht von allein, sondern Technologieanbieter und Anwenderunternehmen müssen gleichermaßen daran arbeiten, die Logistik auf neue Füße zu stellen. Nur dann bleibt Deutschland der „Logistikweltmeister“, der es laut einer Weltbank-Studie noch ist. Im Consumerbereich scheint der Zug bereits abgefahren zu sein. Plattformanbieter wie Amazon, Uber, Alibaba, JD.com oder Tencent investieren seit Jahren Milliarden in die Erforschung von KI-Modellen und haben längst die Oberhand über gesamtwirtschaftliche Geschäftsprozesse gewonnen. Noch offen hingegen ist das Rennen im B2B-Bereich. Logistikforscher ten Hompel: „Gewinnen werden digitale Plattformen und KI-Algorithmen, die die gesamte Logistik und damit wesentliche Teile der Wirtschaft durchdringen. Denn wer die Logistikketten der Welt steuert, der steuert auch die Wirtschaft der Welt.“

Nicht wenige sehen dabei in der Logistik ein vorrangiges Betätigungsfeld; entsprechende Verfahren würden sich dort als erstes massenhaft durchsetzen. Die Potenziale seien so hoch, weil die Branche von Informationen lebt. Passend dazu zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Sopra Steria den Mehrwert von KI für die Logistikbranche. Demnach rechnen rund 75 Prozent der befragten Branchenvertreter mit Kosteneffekten durch KI-Einsatz. Interviewt wurden 203 Geschäftsführer/innen, Vorstände und Führungskräfte aus Unternehmen ab 500 Beschäftigten verschiedener Branchen nach dem Status quo sowie zukünftig geplanten Einsätzen intelligenter Systeme in ihrem Unternehmen und welchen Einfluss sie sich davon auf ihr Geschäft versprechen. 20 Prozent der befragten Unternehmen nutzen demnach bereits KI, weitere 37 Prozent stecken in entsprechenden Planungen.

Diese Entwicklung bestätigte Prof. Dr. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML, zum Auftakt des Zukunftkongresses 2019 der Fachzeitschrift „Logistik heute“ am 17. September in Dortmund. Das zweitägige Expertentreffen stand unter dem Motto „Silicon Economy – Künstliche Intelligenz als Treiber neuer Geschäftsmodelle“. „In der Logistik wird gerade der Schalter umgelegt“, so der Wissenschaftler. Nach und nach würden KI-Umgebungen und Assistenzsysteme Einzug in den unternehmerischen Alltag halten und die Logistik effizienter machen. Verteilte künstliche Intelligenzen übernähmen Verhandlungen und Disposition, optimierten Bestände, simulierten Warenströme und analysierten Güter per Kamera.

Menschen können die Komplexität heutiger Lieferketten nicht mehr beherrschen

Auf dem „KI-Day“, den das Fachmagazin DVZ im April 2019 in Kooperation mit dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) veranstaltete, erklärte Joachim Getto, Leiter Transportmanagement und digitale Logistik bei Bearing Point: „Die Komplexität heutiger Lieferketten können Menschen nicht mehr beherrschen.“ Maschinelles Lernen sorge deshalb dafür, dass sich die Maschinen das Wissen selbst aneignen, das Menschen nicht mehr vermitteln können.

Die Branche sieht sich zunehmend als ideales Spielfeld für den Einsatz KI-basierter Algorithmen, dies zeigen die Anwendungsbeispiele Transportoptimierung, intelligente Sensorik und Prozessautomatisierung. Auf dem Deutschen Logistik-Kongress 2019 der Bundesvereinigung Logistik (BVL) im Oktober in Berlin wurde aber auch deutlich: Viele Unternehmen stellen sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich der Einsatz von KI rentiert und welche Faktoren sie dabei zu berücksichtigen haben.

Anwendungen sind praxisreif

Dabei gibt es inzwischen zahlreiche Anwendungen, die praxisreif sind. Diverse Start-up-Unternehmen, die sich mit Digitalisierung und KI in der Transportlogistik beschäftigen, konnten für deren Entwicklung in jüngerer Vergangenheit Millionen an Venture-Capital-Mitteln einstreichen. Die Hamburger Cargonexx GmbH etwa arbeitet daran, den Straßentransport mit einem selbstlernenden Algorithmus völlig neu aufzusetzen, um damit Leerfahrten zu vermeiden.

Das teure Ärgernis der Leerfahrten ist für alle Logistiker ein Problem. Um es mit KI anzugehen, müssen die in diesem Zusammenhang erhobenen riesigen Datenmengen allerdings auch intelligent ausgewertet werden – und zwar vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, Europa und der Welt. DHL und Accenture haben deshalb ein neues Tool entwickelt, das auf der Auswertung großer Mengen von Logistikdaten mithilfe künstlicher Intelligenz basiert. Der „DHL Global Trade Barometer“ als Frühindikator für die aktuelle und künftige Entwicklung des Welthandels wird viermal jährlich veröffentlicht und soll Logistiker bei Planung und Durchführung ihrer Aufgaben unterstützen. //

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