Software-Ingenieure ersetzen Händler

KI wird zum Schlüsselfaktor beim Kampf um Kunden.

von Frank Zscheile

Im Portfoliomanagement, beim algorithmischen Handel, für Betrugserkennung sowie Prüfung von Kredit- und Versicherungsverträgen kommt KI in der Finanzwirtschaft heute schon vielfach zum Einsatz.

Große deutsche Banken dünnen derzeit massiv ihre Filialnetze aus. Vor dem Hintergrund eines sich öffnenden europäischen Binnenmarktes bläst ihnen der Wind des Wettbewerbs in Form von FinTechs und durch das Vorpreschen von Non- bzw. Near-Banks scharf ins Gesicht. Vor allem junge Menschen erledigen ihre Bankgeschäfte heute fast nur noch online. Innovative und individuelle Beratungsleistungen sind angesichts dessen ein möglicher Weg, über den sich Finanzdienstleister strategisch wieder in Position bringen können. Dafür brauchen sie mehr denn je informationstechnische Unterstützung.

Technologien für künstliche Intelligenz bieten inzwischen ein breites Anwendungsfeld im Finanzsektor – für Marktanalysen ebenso wie zur Betrugserkennung, Optimierung von Geschäftsprozessen oder im Frontoffice an der Schnittstelle zum Kunden. Matthias Hintenaus, Sales Director DACH beim Softwarehersteller Sinequa, der sich mit KI-gestützter Suche und Analyse beschäftigt: „Um zu verstehen, wie KI im Finanzsektor funktioniert, muss man sich der Illusion entledigen, es gäbe nur eine einzige künstliche Intelligenz. Tatsächlich existiert eine Vielzahl von KI-Technologien, von denen jede unterschiedliche Aufgaben wahrnimmt und die von Herstellern mit oft konkurrierenden Interessen vermarktet werden.“ Der Experte identifiziert vier Bereiche, in denen solche Anwendungen bereits vielfach eingesetzt werden: Portfoliomanagement, algorithmischer Handel, Betrugserkennung sowie Kredit- und Versicherungsverträge.

DZ-Bank arbeitet mit KI-basierter Such- und Analyseplattform

Goldman Sachs etwa hat in den letzten Jahren die Anzahl seiner Händler um 600 reduziert und dafür 200 Software-Ingenieure eingestellt, die sich ausschließlich mit dem Betrieb algorithmischer Handelsroboter beschäftigen.

Mit der DZ Bank setzt die zweitgrößte Bank in Deutschland eine KI-basierte Such- und Analyseplattform von Sinequa ein. Damit verbessert sie die Fähigkeit ihrer Beschäftigten, Erkenntnisse aus Daten zu gewinnen, Ideen auszutauschen, Innovationen zu entwickeln und eine effektive Corporate Governance in den Bereichen Risikomanagement, Reputationsmanagement und transparente Entscheidungsfindung zu erreichen.

Thomson Reuters wiederum lässt Earnings-Reports aller bei sich gelisteten Firmen mit der Software von Squirro maschinell auswerten. So lässt sich zielgenau ermitteln, welche Unternehmung in naher Zukunft an den Kapitalmarkt gehen wird, um zum Beispiel eine Obligation aufzunehmen.

Technologien für künstliche Intelligenz bieten inzwischen ein breites Anwendungsfeld im Finanzsektor – für Marktanalysen ebenso wie zur Betrugserkennung, Optimierung von Geschäftsprozessen oder im Frontoffice an der Schnittstelle zum Kunden.

An der Schnittstelle zum Kunden machen seit einiger Zeit sogenannte Robo-Advisors von sich reden, die das Geld der Kunden mithilfe einer Software in Wertpapieren (meist Indexfonds, ETFs) anlegen. Anfang 2019 existierten am deutschen Markt bereits über 30 solcher Unternehmen, die mehr als eine Milliarde Euro deutscher Kunden betreuen. Als „digitaler Anlagehelfer“ eröffnet und verwaltet ein Robo-Advisor das Depot und kauft sowie verkauft die Wertpapiere für den Kunden. Dieser muss, bevor er sein Geld überträgt, Fragen zu seinem finanziellen Hintergrund und zur Risikofreude beantworten. Der Anlagehelfer schlägt ihm daraufhin eine passende Geldanlage vor.

Steuerprozesse automatisieren

Auch auf dem Gebiet der Steuer eröffnen sich interessante Einsatzszenarien für KI. So haben die internationale Steuerberatungsgesellschaft WTS und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) Anfang 2018 ein Center of Competence Tax Technology gegründet, in dem sie ihr KI- und Steuer-Know-how bündeln. Dort wollen sie innovative KI-Verfahren auf dem Gebiet Steuer weiter erforschen und KI-Werkzeuge (weiter-)entwickeln bzw. für den Praxiseinsatz vorbereiten.

Etwa die Software „Detection“, die Anomalien in transaktionalen Massendaten erkennt – was insbesondere für die Bereiche Zoll und Umsatzsteuer relevant ist. Weiter geschärft wird außerdem das für Steuerfachtexte entwickelte neuronale Übersetzungssystem „NeuMU“. Prof. Dr. Peter Fettke, Leiter des Projekts beim DFKI: „Gerade im Bereich Steuer sind die Anwendungsmöglichkeiten für KI-Technologien sehr interessant. Aufgrund der großen Datenmengen, die Steuerverantwortliche tagtäglich bearbeiten müssen, und der Tatsache, dass viele Steueraufgaben hochrepetitiv sind, können Steuerprozesse automatisiert und kann eine deutlich höhere Compliance-Sicherheit gewährleistet werden.“

Berufsgrundsätze und Verhaltenskodizes müssen erweitert werden

Damit Finanzdienstleister durch KI ihre Entscheidungsfindung in den verschiedenen Phasen eines Transaktionsprozesses verbessern können, müssen jedoch zunächst Berufsgrundsätze und Verhaltenskodizes entwickelt bzw. angepasst werden, damit kein Missbrauch geschieht. Dies fordern das Institute of Chartered Accountants in England & Wales (ICAEW) und Drooms, ein Anbieter von Secure-Cloud-Lösungen mit Hauptsitz in Frankfurt und Zug. In einer gemeinsamen Studie „AI in Corporate Advisory“ untersuchen sie die Chancen und Risiken der Nutzung von KI für an Transaktionen beteiligte Unternehmen, insbesondere aus den Branchen Immobilie, Recht und Private Equity. //

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