Was bedeutet KI für die Arbeitsplatz­sicherheit?

Die KI-Strategie der Bundesregierung be­tont, KI solle dem Bürger und Arbeitnehmer nutzen. Die Regierung versucht, auch mittels Kommunikation bestehende Ängste abzubau­en. Industrie 4.0, also die Digitalisierung der Arbeitswelt, bei der KI prägend ist – allerdings sind nicht alle Prozesse in diesem Zusammen­hang KI-gesteuert (s. Einleitung) –, und das Internet der Dinge (IoT) führen unzweifelhaft zu Arbeitsplatzverlusten, so wie viele Kutscher ihren Arbeitsplatz verloren, als sich das Auto­mobil durchsetzte. Dasselbe gilt für die Arbei­ter, die Sattel herstellten. Da es unmöglich ist, sich dem technologischen Wandel entgegen­zustellen, ganz so wie Kaiser Wilhelm II., der angeblich gesagt haben soll: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung; ich glaube an das Pferd(40)“, stellen sich Fragen, die Staat und Gesellschaft als Ganzes berühren.

Niemand kann freilich vorhersagen, wie viele Arbeits­plätze verloren gehen und wie viele durch KI neu entstehen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass einfache Routinearbeiten, für die wenig Bildung oder emotionale Intelligenz notwen­dig sind, am schnellsten von KI-Systemen übernommen werden können. Eine Studie der Universität Oxford von 2013 unterschei­det zwischen Arbeiter- und Angestelltenberu­fen, wobei als Merkmal von Arbeiterberufen das körperliche Handhaben definiert wird (so wäre ein Chirurg ein Arbeiter, ein Radiologe hingegen nicht).

Die am meisten gefährdeten Arbeiterberufe sind u. a. Baggerfahrer, Uhr­macher, Feldarbeiter, Kassierer, Postbeam­ter, Lokomotivführer, Platzwart, Mitarbeiter im Versand und Wareneingang, Buchbinder und Montagekraft für elektrische und elekt­ronische Geräte. Am wenigsten betroffen bei den Arbeiterberufen wären Ergotherapeu­ten, Förster, Sportmediziner, Chiroprakti­ker, Tierärzte, Visagisten, Chirurgen, Floris­ten, Kunsthandwerker und Trainer.

Bei den Angestelltenberufen sind laut Oxford-Studie die am meisten gefährdeten Berufe Textver­arbeiter und Typisten, Kreditsachbearbeiter, Buchhalter, Bibliotheksassistenten, technische Autoren, Telefonisten, Versicherer und Scha­denssachbearbeiter sowie Wertpapiermakler, während Computersystem-Analytiker, Inge­nieure, CEOs, Animatoren, Modedesigner, Grafikdesigner, Fluglotsen, Mathematiker, Einkaufsleiter, Redakteure, Lehrer, Fotogra­fen und Anwälte vglw. wenig betroffen sind(41). Wie gesagt, es handelt sich um den Stand von 2013. Ob weitere Berufe gefährdet sind, hängt von den Fortschritten bei der KI-Entwicklung ab.

Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass auf ab­sehbare (möglicherweise unabsehbare) Zeit der Einsatz von KI-Systemen im therapeuti­schen Bereich begrenzt sein wird. Auch wenn KI-Systeme etwa in der Alten- und Kranken­pflege vielleicht bestimmte Handgriffe besser praktizieren (und auch eingesetzt werden), dürfte die heilende Wirkung eines mitfüh­lenden Menschen durch kein System ersetzt werden können. Dabei gibt es Versuche, KI-Roboter menschenähnlicher zu machen, ihre Mimik zu beeinflussen, sie Sätze sagen zu lassen wie „Das tut mir leid“ oder „Das freut mich“. Da aber keine „echten“ Gefühle dahin­terstehen, sondern eben nur eine Program­mierung, und da zu menschenähnliche Ro­boter durchaus Angstgefühle bei Menschen hervorrufen können(42), sollte der Einsatz sol­cher Roboter sorgfältig geprüft werden.

Mög­licherweise stehen wir insgesamt vor Verände­rungen, wie sie die zweite industrielle Revolu­tion hervorbrachte: Waren 1870 noch gut 70 bis 80 Prozent der US-Amerikaner – die USA waren zusammen mit Großbritannien, Belgi­en und Deutschland eines der industrialisier­testen Länder – in der Landwirtschaft tätig, sind es heute weniger als zwei Prozent(43). Für die wegfallenden Berufe werden neue entste­hen oder zunehmen, rund um die KI wären das etwa Netzwerk-Architekten, KI-Ingenieu­re, Dataset-Designer, KI-Trainer, KI-Audito­ren, KI-Forensiker, KI-Supervisoren, Interak­tionsdesigner, Skill-Entwickler und Robotro­niker(44). Ob die Anzahl der nachwachsenden Jobs die entstehende Lücke durch wegfallen­de Tätigkeiten schließen kann, ist mehr als ungewiss.

Wann handelt es sich um einen Roboter? Wie lässt sich die Zahl der durch Roboter wegfallenden Stellen berechnen? Steht eine Robotersteuer dem technischen Wandel und damit der Produktivität im Wege?

Da das Sozial- und Steuersystem aber immer noch wesentlich auf menschli­cher Arbeit beruht, gibt es verschiedene Vor­schläge, u. a. von IT-Pionieren. So schlug Bill Gates eine Robotersteuer vor(45): „The robot that takes your job, should pay taxes.“ Der Gedanke klingt plausibel, denn warum sollte menschliche Arbeit besteuert werden, die Ar­beit von Robotern aber nicht. Doch Einwände lassen sich auch vernehmen: Wann handelt es sich um einen Roboter? Wie lässt sich die Zahl der durch Roboter wegfallenden Stellen be­rechnen? Steht eine Robotersteuer dem tech­nischen Wandel und damit der Produktivität im Wege?

Eine Alternative wäre die Soziali­sierung der Roboter: Damit könnte die Masse der Erwerbstätigen an den Produktivitätsfort­schritten beteiligt werden. Ein entsprechender Vorschlag stammt vom Harvard-Ökonomen Richard B. Freeman. Der Vorschlag entspricht einer Beteiligung am Unternehmenskapital, die in Form von Pensionsansprüchen, Akti­enbeteiligungen oder selbstverwalteten Fonds erfolgen könne. Ein entlassener Mitarbeiter könnte Besitzrechte an dem Roboter erwer­ben, der seine Arbeit übernommen hat(46). Das Problem bei einer solchen Unternehmensbe­teiligung könnte darin bestehen, dass zwar die durch Roboter Entlassenen davon profitie­ren, nicht aber jene, die aufgrund von Robo­tern nie einen Arbeitsplatz bekommen haben.

Schließlich das bedingungslose Grundein­kommen, eine Idee, die auch von einigen Un­ternehmern lanciert wird(47). Hier ist unklar, welche Auswirkungen das Grundeinkommen auf die Löhne hätte: Steigen diese, weil Men­schen möglicherweise auf zu schlecht bezahlte Jobs verzichten würden, oder sinken sie, weil Unternehmen das Grundeinkommen in den Lohn mit einberechnen würden. Von Linken kommt die Kritik, das Grundeinkommen sei ein Almosen und ändere nichts an den Besitz­verhältnissen.(48)


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Expertensysteme und subsymbolische Systeme

Quellen

40.) Es dürfte sich um ein „apokryphes“ Zitat handeln, war der schlachtflottenbegeisterte Kaiser doch sehr technikinteressiert.
41.) Vgl. J. Kaplan, S. 135ff.
42.) https://doppeltspitze.de/angst-vor-ki-wie-sehr-vermenschlichen-wir-roboter/; https://www.zeit.de/2019/33/robotik-kuenstliche-intelligenz-emotionen-angst; https://www.industr.com/de/roboter-koennen-gefuehle-im-menschen-ausloesen-2343154; https://de.wikipedia.org/wiki/Uncanny_Valley, aufgerufen am 4.11.2019
43.) Vgl. J. Kaplan, S. 130
44.) https://www.it-zoom.de/mobile-business/e/auf-diese-10-ki-jobs-koennen-sie-sich-bald-bewerben-18313/; https://www.it-zoom.de/mobile-business/e/neue-berufsbilder-durch-kuenstliche-intelligenz-18312/
45.) https://qz.com/911968/bill-gates-the-robot-that-takes-your-job-should-pay-taxes/
46.) https://wol.iza.org/articles/who-owns-the-robots-rules-the-world/long
47.) https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/arbeitsmarkt-und-hartz-iv/dm-gruender-goetz-werner-1000-euro-fuer-jeden-machen-die-menschen-frei-1623224.html
48.) http://www.labournet.de/category/politik/fetisch/existenzgeld/linke_kritik/